„Spot on“ – Meisterwerke in neuem Licht

Die Hamburger Kunsthalle zeigt unter dem Titel „Spot on“ 200 Meisterwerke aus 600 Jahren Kunstgeschichte – von den Alten Meistern über das 19. Jahrhundert und die Klassische Moderne bis hin zur Gegenwart – und lädt dazu ein, diese aus neuen Blickwinkeln zu erleben.

Mit der neuen Schau „Spot on“ rückt die Hamburger Kunsthalle einen großen Teil ihrer Meisterwerke in einmaliger Weise ins Scheinwerferlicht. Grund für diese Neupräsentation sind das bevorstehende umfangreiche Modernisierungsprojekt der Kunsthalle, das für den Zeitraum September 2014 bis Dezember 2015 geplant ist, und die damit verbundene Teilschließung des Hauses.

Der Titel für die Sammlungspräsentation ist angelehnt an Richard Serras Wandmalerei „Spot on“. Sie entstand im Jahr 1996 mit der Einrichtung des Hauses und war eine Zeit lang nicht zu sehen: eine schwarze Ellipse auf der weißen Wand, die dem Negativ eines Scheinwerferkegels gleicht. So verstanden als Schlaglicht richtet „Spot on – Meisterwerke der Hamburger Kunsthalle“ den Fokus auf ausgewählte Highlights der Sammlung, die zudem abwechslungsreich in kunsthistorische und gesellschaftliche Bezüge gesetzt sind.

Ausstellungskonzept mit reizvollen Annäherungsmöglichkeiten

Die drei jungen Kuratorinnen Anna Heinze, Merle Radtke und Neela Struck haben aus den mehr als 300 Kunstwerken des Hauses 200 Meisterwerke ausgewählt, diese in neue thematische Zusammenhänge gebracht und drei mögliche Zugangsweisen geschaffen. So können Besucher im Sockelgeschoss der Galerie der Gegenwart auf 2000 Quadratmeter Ausstellungsfläche zum einen die schönsten Kunstwerke auf sich wirken lassen. Zum zweiten bieten sich verschiedene Themenräume an, interessante Epochen übergreifende Vergleiche zu ziehen sowie zwischen den Räumen spannende Blickachsen zu entdecken. Und drittens gibt ein Rundgang einen Einblick auf sehr hochkarätige Kunst aus sieben Jahrhunderten – Serras Wandmalerei ist der Startpunkt für einen chronologischen Rundgang durch die Kunstgeschichte.

Sakrale Kunst nördlich der Alpen ab dem Spätmittelalter

Als früheste Arbeiten sind die eindrucksvollen Tafeln des Thomas-Altars mit den Bilderzählungen von Meister Francke aus den 1420er-Jahren zu sehen. Dem gegenübergestellt finden sich unter anderem religiöse Akte, die die Themen „Tugend“ und „Laster“ aufgreifen. Sie verdeutlichen, wie sich Inhalte und Darstellungsformen kirchlicher Malerei in Verlauf des 16. Jahrhunderts veränderten.

Kirchliche Architekturbilder und Landschaftsmalerei

Kirchengemälde und Landschaftsmalerei, zwei Gattungen, die in der Kunsthalle sehr präsent sind, stehen sich in einem weiteren Raum gegenüber. Die Architekturbilder der niederländischen Maler des Goldenen Zeitalters – zu sehen sind etwa Gemälde von Pieter Jansz. Saenredam und Gerard Houckgeest – lassen die Besonderheiten der perspektivischen Bildkonstruktionen erkennen. Mit ihren starken geometrischen Formen symbolisieren sie die ordnende und schöpferische Kraft des Menschen. Kontrastreich wirken dazu barocke Landschaftsmotive, die den Bogen spannen von ruinenhafter antiker Architektur bis zu verfallenen Höfen und damit die Vergänglichkeit menschlichen Schaffens angesichts der Kraft der Natur zeigen.

Die Kunstkammer

In der Spätrenaissance und im Barock trugen Adlige und wohlhabende Bürger Gegenstände aus der Natur wie Muscheln Korallen und Steine, wissenschaftliche Forschungsinstrumente und künstlerische Artefakte in Kunstkammern zusammen. Sie zeigten auf diese Weise ihre humanistische und naturwissenschaftliche Bildung, ihren Kunstgeschmack sowie gesellschaftlichen Status. In seinem Gemälde „Kunstkammerregal“ hat Johann Georg Hinz im Jahr 1666 eine solche Sammlung festgehalten.

Von der göttlichen Verklärung zur weltlichen Aufklärung

Die Darstellung des Himmlischen, die Präsenz des Göttlichen auf der Erde, der Mensch und seine Erlösung von irdischen Qualen waren die Motive der Barockmaler. In der Sammlung zu sehen sind beispielsweise Gemälde von Peter Paul Rubens („Himmelfahrt Mariens“) und Giovanni B. Tiepolo („Dornenkrönung Christi“).

Mit der Französischen Revolution 1789 und der Zeit der Aufklärung kam es zur Entwurzelung der Kunst im christlichen Kontext, sie war nicht länger Auftragsarbeit für Kirche und Adel. Die Künstler mussten sich neu finden und begannen aktuelle gesellschaftliche und politische Ereignisse aufzugreifen, die sie wiederum mit bekannten Elementen der Kunstgeschichte wie Flügeln oder Wolken und Licht – in diesem Zusammenhang als Sinnbild für weltliche Aufklärung – kombinierten.

Ideale der Landschaftsmalerei

Im 19. Jahrhundert wird die Malerei „leichter“. So suchte Philipp Otto Runge, um 1800 nach neuen Ausdruckformen. Er entwickelte Landschaftsmalerei verbunden mit starker Religiosität und der Sehnsucht nach einer Einheit von Mensch und Natur. Runges „Der Morgen“ symbolisiert den Anfang aller Dinge – den Morgen, den Frühling, die Kindheit und die Schöpfung der Welt.

Auch die Industrialisierung und die damit einhergehende Entfremdung des Menschen im 18. und 19. Jahrhundert finden sich in der Kunst durch die Darstellung der Sehnsucht des Städters nach der Natur wieder. Caspar David Friedrich suchte mit seiner Kunst die Innerlichkeit, das Mystische. Zusammen mit Runge zählt Friedrich zu den bedeutendsten Vertretern norddeutscher Frühromantik. Sein berühmtes Bild „Wanderer über dem Nebelmeer“ ist ebenfalls in der Ausstellung zu sehen.

Andere Ideale vertraten dagegen die Klassizisten, untern ihnen Johann Christian Reinhart und Jakob Philipp Hackert. Sie drückten ihre Sehnsucht in der Darstellung der idealen Landschaft des Südens aus. Die Realisten wiederum arbeiteten statt dem Schönen das Authentische einer Landschaft heraus. Künstler wie der Franzose Gustave Courbet machten den prosaischen Alltag in seiner Einfachheit zum Bildgegenstand, bei dem Ausschnitte einer Landschaft das Ganze der Welt symbolisierten.

Künstlerische Positionen zur Rolle der Frau im 19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert veränderte sich die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Das betraf vor allem ihren Zugang zu Arbeit und Bildung. Der künstlerische Blick richtete sich in der Zeit auf die Frauen einerseits in Form ästhetischer Darstellung der weiblichen Schönheit und andererseits in der ungeschminkten Präsentation der Frau im Alltag – immer aus der Perspektive eines Mannes betrachtet. In diesem Bereich der Schau finden sich wichtige zeitgenössische Meisterwerke. Als zentrales Gemälde im Raum lässt sich „Nana“ von Édouard Manet erwähnen.

Vielfalt der künstlerischen Stile in der Moderne

Die deutschen Impressionisten Max Liebermann („Selbstbildnis“) und Lovis Corinth („Selbstbildnis im Harnisch“) verkörpern die positive Aufbruchstimmung vor dem Ersten Weltkrieg und den Aufbruch in die Moderne, der der Sehnsucht nach Ursprünglichkeit gegenübersteht. Auch Bilder von expressionistischen Malern wie dem Norweger Edvard Munch und Brücke-Künstlern – etwa Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff – sind zu sehen.

Die stilistische Vielfalt der Klassischen Moderne verdeutlichen auch Werke von Max Beckmann („Odysseus und Kalypso“), Wassily Kandinsky, Paul Klee sowie kubistische Werke von Pablo Picasso und Georges Braque. Der französische Surrealist René Magritte markiert mit seinem Gemälde „Die schnelle Hoffnung (L´espoir rapide)“, das Formen und Begriffe ohne Narration zeigt, in der Schau den Übergang zur Kunst der Gegenwart und den Ausstieg aus Form des Gemäldes.

Kunst der Gegenwart

„What you see ist what you see“ – mit dieser Kernaussage beschrieb ursprünglich der nordamerikanische Künstler Frank Stella seine Werke der Pop-Art und des Abstrakten Expressionismus. Materialien bringen demnach nur das zum Ausdruck, was sie in sich tragen. Genau das verdeutlicht etwa das in der Galerie der Gegenwart präsentierte Konzeptkunstwerk „Five words in white Neon“ von Joseph Kosuth – es zeigt nicht mehr (und nicht weniger) als fünf Wörter in weißem Neon.

Wiederzusehen ist auch das 1996 entstandene Werk „Measurements of Time“ von Richard Serra. Hier wurden erst eine Wand im Gebäude errichtet, dann 13 Tonnen Bleischrott erhitzt und mit einer großen Kelle gegen die Wand geschleudert – die Wand diente als Gussform. Im Vordergrund stand der Materialgedanke: Das Kunstwerk lebt durch die physikalischen Veränderungen des Bleis, das mit der Zeit in sich zusammensackt.

Zudem nutzt die Kunsthalle die Gelegenheit, die ortsgebundene Rauminstallation „Healing with Paintings“ von Ilya Kabakov (1996) zu zeigen, in der sich der Künstler mit der Kunstbetrachtung als Heilungsmethode von Nerven- und Gemütskrankheiten beschäftigt. Andere Künstler machen den eigenen Körper zum Objekt und gehen bis an die Grenzen der Selbstzerstörung – etwa Rebecca Horn, die sich in einem Film mit zwei Scheren eindringlich die Haare abschneidet. Auch Gemäldegruppen von Georg Baselitz, Sigmar Polke und Gerhard Richter sind zu sehen. Ebenso können Besucher Werke der Pop Art, dazu zählt Andy Warhol, und kritischer Gegenbewegungen erkunden: Statt der Verwendung industriell gefertigter Materialien in der Pop Art, arbeiteten Vertreter der Arte Povera mit einfachen und oftmals natürlichen Materialien.

Ob man „Spot on“ wörtlich nehmen könne und die Kunsthalle mit der neuen Präsentation ins Schwarze getroffen habe, müssten die Besucher entscheiden, sagte Direktor Professor Hubertus Gaßner beim Presserundgang. – Fazit: Alles in allem ist „Spot on“ eine lohnenswerte Schau, die spannenden neuen Kunstgenuss ermöglicht – sicher auch für diejenigen, die auf alte Bekannte treffen werden.

„Spot on – Meisterwerke der Hamburger Kunsthalle“, Hamburger Kunsthalle (Galerie der Gegenwart), Glockengießerwall, 20095 Hamburg, bis 3. Januar 2016. Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr, donnerstags 10 bis 21 Uhr, www.hamburger-kunsthalle.de

-- Tanja Königshagen --

Der Beitrag (hier leicht gekürzter Text ohne Abbildungen) ist am 7. August 2014 im regionalen Online-Nachrichtenportal www.business-on.de/hamburg erschienen (PDF).

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